Veröffentlicht am März 11, 2024

Entgegen der landläufigen Meinung ist ein starkes soziales Netz kein Zufallsprodukt, sondern das Ergebnis bewusster Beziehungsarchitektur.

  • Soziale Bindungen sind ein wissenschaftlich belegter Schutzfaktor für die Gesundheit, vergleichbar mit dem Verzicht auf Rauchen.
  • Ein krisenfestes Netzwerk besteht aus verschiedenen Beziehungstypen, die unterschiedliche Funktionen erfüllen – weit mehr als nur „beste Freunde“.

Empfehlung: Beginnen Sie noch heute damit, Ihr soziales Netz nicht nur zu erweitern, sondern es aktiv zu gestalten, indem Sie die Qualität und Vielfalt Ihrer Beziehungen inventarisieren und gezielt pflegen.

Beruflicher Erfolg, finanzielle Sicherheit, ein durchgeplanter Lebenslauf – viele von uns investieren enorme Energie in den Aufbau eines stabilen Lebensgerüsts. Doch dann kommt sie, die unvorhergesehene Krise: ein Jobverlust, eine Krankheit, eine Trennung. Plötzlich wird schmerzlich bewusst, dass das Gerüst allein nicht trägt. Das Gefühl der Einsamkeit kann überwältigend sein, selbst wenn man von Menschen umgeben ist. Oft hören wir den gut gemeinten Rat, wir müssten einfach nur „mehr unter Leute gehen“ oder unsere Freundschaften pflegen. Doch diese Ratschläge greifen zu kurz. Sie behandeln Symptome, nicht die Ursache. Was, wenn die wahre Lösung nicht darin liegt, einfach nur mehr Kontakte zu haben, sondern darin, unsere Beziehungen wie ein Architekt zu entwerfen?

Dieser Artikel verfolgt einen anderen Ansatz. Er zeigt Ihnen, wie Sie aufhören, auf zufällige Begegnungen zu hoffen, und stattdessen eine bewusste Beziehungsarchitektur betreiben. Es geht darum, ein widerstandsfähiges soziales Ökosystem zu schaffen, das Sie nicht nur in guten Zeiten bereichert, sondern vor allem in den unvermeidlichen Stürmen des Lebens auffängt. Wir werden die wissenschaftlichen Grundlagen beleuchten, Ihnen praktische Werkzeuge zur Analyse und Pflege Ihres Netzwerks an die Hand geben und die psychologischen Hürden überwinden, die uns oft im Weg stehen. Denn ein echtes Sicherheitsnetz ist kein Zufallsprodukt, sondern das Ergebnis gezielter und liebevoller Arbeit.

Dieser Leitfaden ist in übersichtliche Kapitel unterteilt, die Sie Schritt für Schritt von der wissenschaftlichen Erkenntnis bis zur praktischen Umsetzung führen. Der folgende Sommaire gibt Ihnen einen Überblick über die Themen, die wir gemeinsam erkunden werden, um Ihr persönliches, krisenfestes soziales Netz zu errichten.

Warum Freundschaft die beste Medizin ist: Die überraschenden wissenschaftlichen Fakten über soziale Bindungen

Die Vorstellung, dass Freundschaft guttut, ist so alt wie die Menschheit selbst. Doch in den letzten Jahren hat die Wissenschaft begonnen, dieses Bauchgefühl mit harten Fakten zu untermauern. Soziale Bindungen sind kein „Nice-to-have“ für das seelische Wohlbefinden, sondern ein fundamentaler Pfeiler unserer körperlichen Gesundheit. Die Forschung zeigt, dass chronische Einsamkeit ebenso schädlich sein kann wie Rauchen oder Fettleibigkeit. In Deutschland ist dies kein Nischenproblem: Laut dem TK-Einsamkeitsreport 2024 kennen 60 % der Deutschen das Gefühl der Einsamkeit, und fast ein Viertel der häufig einsamen Menschen bewertet die eigene Gesundheit als schlecht.

Doch was macht diese Verbindungen so wirksam? Starke soziale Netze fungieren als Puffer gegen Stress. In Krisenzeiten hilft die Gewissheit, Unterstützung zu haben, bei der Regulierung von Stresshormonen wie Cortisol. Ein offenes Gespräch kann buchstäblich den Blutdruck senken. Darüber hinaus fördern Freundschaften gesunde Verhaltensweisen. Wir sind eher geneigt, Sport zu treiben, uns gesund zu ernähren oder einen Arzt aufzusuchen, wenn unser Umfeld uns dazu ermutigt.

Die vielleicht beeindruckendste Erkenntnis ist der direkte Zusammenhang zwischen sozialen Kontakten und der Lebenserwartung. Eine umfassende Meta-Analyse, die 148 Studien auswertete, kam zu einem klaren Ergebnis: Menschen mit einem starken sozialen Netz haben eine signifikant höhere Überlebenschance. Der positive Effekt auf die Gesundheit ist dabei vergleichbar mit dem, den man durch den Verzicht auf das Rauchen von 15 Zigaretten pro Tag erzielt. Diese wissenschaftliche Evidenz verwandelt den Aufbau eines sozialen Netzes von einer reinen Freizeitbeschäftigung in eine der wichtigsten gesundheitlichen Präventionsmaßnahmen, die wir ergreifen können.

Ihr persönliches „Support-Team“: Machen Sie eine ehrliche Bestandsaufnahme Ihrer Beziehungen

Bevor man ein Haus renoviert, braucht man einen Bauplan. Genauso verhält es sich mit unserer Beziehungsarchitektur. Viele von uns haben ein vages Gefühl dafür, wer „dazu gehört“, aber eine bewusste, strukturierte Analyse fehlt oft. Ein mächtiges Werkzeug dafür ist das Modell der konzentrischen Kreise. Stellen Sie sich Ihr soziales Netz nicht als eine lose Ansammlung von Personen vor, sondern als eine Reihe von Kreisen, die von innen nach außen an Bedeutung abnehmen. Diese Visualisierung hilft, Klarheit über die Struktur und die potenziellen Lücken in Ihrem Unterstützungs-Ökosystem zu gewinnen.

Visualisierung eines persönlichen Netzwerks in konzentrischen Kreisen, dargestellt durch Steine in Wasser

Diese Methode zwingt uns zu einer ehrlichen Selbstreflexion: Wer sind die Menschen, die wirklich zählen? Welche Beziehungen sind rein funktional, und wo gibt es Potenzial für mehr Tiefe? Oft stellen wir fest, dass unser innerer Kreis kleiner ist als gedacht oder dass bestimmte Lebensbereiche (z. B. berufliche Kontakte) überrepräsentiert sind, während andere (z. B. reine Freizeitfreunde) fehlen. Es geht hierbei nicht um eine Wertung, sondern um eine neutrale Bestandsaufnahme – die notwendige Grundlage, um gezielt dort zu investieren, wo es am nötigsten ist.

Ihr Plan zur Netzwerkanalyse: Die konzentrischen Kreise

  1. Inneren Kreis identifizieren: Listen Sie die „3-Uhr-nachts-Freunde“ auf – jene 2-3 Personen, die Sie in jeder denkbaren Notlage ohne Zögern anrufen würden.
  2. Mittleren Kreis kartieren: Notieren Sie die Menschen, mit denen Sie regelmäßig Aktivitäten teilen oder einen regen Austausch pflegen (z. B. Kollegen, Sportpartner, enge Nachbarn).
  3. Äußeren Kreis würdigen: Erfassen Sie die „schwachen Verbindungen“ (loose ties) – Bekannte aus Vereinen, lose Berufskontakte oder die freundliche Person aus dem Café. Diese sind oft wertvolle Brücken zu neuen Welten.
  4. Inventur der Dankbarkeit: Gehen Sie die Listen durch und notieren Sie für jede wichtige Person, wofür Sie ihr konkret dankbar sind. Das stärkt die Wertschätzung.
  5. Krisen-Tandem benennen: Wählen Sie bewusst ein bis zwei Personen aus Ihrem inneren Kreis, mit denen Sie explizit einen Notfallplan besprechen (z. B. „Wenn X passiert, bist du mein erster Anruf.“).

Freundschaft ist ein Job: Warum gute Beziehungen aktive Pflege brauchen (und wie das geht)

In unserer Kultur herrscht oft die romantische Vorstellung, dass „wahre Freundschaft“ keiner Anstrengung bedarf und die Zeit überdauert, ohne dass man etwas dafür tun muss. Die Realität sieht anders aus. Gute, tiefe Beziehungen sind wie ein Garten: Sie müssen aktiv gepflegt werden, sonst verkümmern sie. Freundschaft ist in diesem Sinne ein „Job“ – nicht im Sinne einer lästigen Pflicht, sondern im Sinne einer Tätigkeit, die bewusste Investition von Zeit und Energie erfordert. In Deutschland zeigt sich die Beständigkeit solcher Investitionen eindrücklich: Laut einer Studie der Jacobs Foundation kennen 30- bis 44-Jährige ihren besten Freund im Durchschnitt bereits seit 20 Jahren. Eine solche Langlebigkeit entsteht nicht von selbst.

Die Psychologin und Autorin Ulrike Scheuermann fasst die Bedeutung dieser Pflege prägnant zusammen:

Gute soziale Kontakte sind der wichtigste Schutz vor Krankheiten. Stabile soziale Bindungen steigern die Chance auf ein langes, gesundes Leben deutlich.

– Ulrike Scheuermann, Psychologin und Autorin

Aber wie sieht diese „Arbeit“ konkret aus? Es geht um kleine, aber regelmäßige Gesten. Ein kurzer Anruf statt einer Textnachricht. Sich an wichtige Termine des anderen erinnern. Proaktiv ein Treffen vorschlagen, anstatt darauf zu warten, dass der andere sich meldet. Es geht darum, im Alltag des anderen präsent zu sein, auch wenn man sich nicht physisch sieht. Die wichtigste Währung in der Freundschaftspflege ist verlässliche Aufmerksamkeit. Diese kontinuierliche Pflege schafft das Fundament aus Vertrauen, das in Krisenzeiten den entscheidenden Unterschied macht. Ohne diese regelmäßigen „Einzahlungen“ auf das Beziehungskonto ist in der Not plötzlich kein Guthaben mehr vorhanden, das man abheben kann.

Mehr als nur beste Freunde: Die 5 Typen von Menschen, die jeder in seinem Leben braucht

Die Idee eines einzigen „besten Freundes“, der alle unsere sozialen und emotionalen Bedürfnisse erfüllt, ist ein Mythos. Ein wirklich widerstandsfähiges soziales Ökosystem zeichnet sich durch Vielfalt aus. Verschiedene Menschen erfüllen unterschiedliche, aber gleichermaßen wichtige Funktionen. Es ist wie bei einer gut ausgestatteten Werkzeugkiste: Man braucht nicht nur einen Hammer. Um für jede Herausforderung gewappnet zu sein, benötigen wir ein diverses Team an unserer Seite. Die Forschung zu sozialen Beziehungen, wie sie beispielsweise vom Deutschen Zentrum für Altersfragen (DZA) untersucht wird, bestätigt die Bedeutung unterschiedlicher Rollen im Netzwerk.

Die 5 essentiellen Beziehungstypen im deutschen Kontext
Beziehungstyp Charakteristik Wo zu finden
Der Vereinsmeier Der klassische Netzwerker mit unzähligen Kontakten, der „immer jemanden kennt“. Sport-, Schützenverein, lokale Parteigliederung
Der Kümmerer Bietet unkomplizierte, praktische Nachbarschaftshilfe an (Pflanzen gießen, Pakete annehmen). Direktes Wohnumfeld, Hausgemeinschaft
Der Ratgeber Oft eine ältere Person mit viel Lebenserfahrung, die intergenerationelle Weisheit teilt. Mehrgenerationenhaus, Ehrenamt, Familie
Der Brückenbauer Verbindet Sie mit neuen sozialen Kreisen und Perspektiven, die Sie allein nicht erreichen würden. Berufliches Umfeld, Konferenzen, Fortbildungen
Der pragmatische Helfer Packt in einer handfesten Krise (Umzug, Wasserschaden) praktisch mit an, ohne viele Worte. Freiwillige Feuerwehr, Technisches Hilfswerk (THW)

Die bewusste Identifizierung und Pflege dieser unterschiedlichen Beziehungstypen ist ein Kernaspekt der Beziehungsarchitektur. Fragen Sie sich bei Ihrer Netzwerkanalyse: Habe ich jemanden für den tiefen emotionalen Austausch? Habe ich jemanden für unkomplizierten Spaß? Und habe ich jemanden, der mir eine Leiter leiht, wenn ich sie brauche? Ein Mangel in einer dieser Kategorien ist kein Versagen, sondern eine Chance. Es ist eine Einladung, gezielt nach Menschen Ausschau zu halten, die eine Lücke in Ihrem sozialen Ökosystem füllen können.

„Ich will niemandem zur Last fallen“: Wie Sie lernen, um Hilfe zu bitten (und warum das ein Zeichen von Stärke ist)

Besonders in einer Kultur, die Unabhängigkeit und Selbstständigkeit hochhält, ist der Satz „Ich will niemandem zur Last fallen“ tief verankert. Diese Haltung, obwohl oft gut gemeint, ist einer der größten Saboteure eines funktionierenden sozialen Netzes. Um Hilfe zu bitten, wird fälschlicherweise als Zeichen von Schwäche oder Versagen interpretiert. Das Gegenteil ist der Fall: Die Fähigkeit, gezielt um Unterstützung zu bitten, ist ein Zeichen von Stärke und Vertrauen – sowohl in sich selbst als auch in die Beziehung. Es ist die ultimative „Einzahlung“ auf das Beziehungskonto, denn es signalisiert dem anderen: „Ich vertraue dir so sehr, dass ich mich dir gegenüber verletzlich zeige.“

Diese Hürde zu überwinden, ist ein aktiver Prozess. Ein wunderbares Beispiel aus der Praxis zeigt, wie niedrigschwellige Angebote helfen können, diese Barriere abzubauen.

Fallbeispiel: Die „Frauenspaziergänge“ in Frankfurt

Die Initiative „Spaziergangstreff für Frauen“ in Frankfurt, ins Leben gerufen von Vivien Eller, schafft einen unverbindlichen Raum, in dem Frauen zusammenkommen können. Das Ziel ist es, Einsamkeit entgegenzuwirken, die, wie Eller in Gesprächen feststellt, oft ein Tabuthema ist. Sie sagt: „Allein oder einsam sein ist für viele etwas Schlechtes. Ich hoffe, dass wir dabei helfen können, dieses Stigma abzubauen.“ Solche Angebote zeigen, dass der erste Schritt – das Annehmen eines Angebots – der Beginn sein kann, um später auch aktiv um Hilfe bitten zu können.

Das Bitten um Hilfe lässt sich trainieren. Es beginnt im Kleinen, mit Bitten, die kaum ein Risiko bergen: „Kannst du kurz auf meine Tasche aufpassen?“ oder „Kannst du mir den Zucker reichen?“. Jeder erfolgreiche Austausch stärkt das Vertrauen in den Prozess. Ein weiterer wichtiger Schritt ist, selbst proaktiv Hilfe anzubieten. Wer regelmäßig fragt „Ich gehe einkaufen, soll ich dir was mitbringen?“, etabliert eine Kultur der Reziprozität und gegenseitigen Fürsorge. Dadurch wird es für beide Seiten normaler und einfacher, im Bedarfsfall auch größere Bitten zu formulieren. Hilfe anzunehmen und zu geben wird so zum Herzschlag eines lebendigen, atmenden sozialen Ökosystems.

Das Lagerfeuer-Prinzip: Warum Erlebnisse stärker verbinden als Worte

Wir neigen dazu zu glauben, dass tiefe Verbindungen vor allem durch intensive Gespräche entstehen. Zweifellos sind diese wichtig, doch oft übersehen wir eine noch mächtigere Kraft: das gemeinsame Erleben. Das „Lagerfeuer-Prinzip“ beschreibt das Phänomen, dass Menschen, die gemeinsam etwas tun, eine tiefere und nachhaltigere Bindung aufbauen als jene, die sich nur unterhalten. Ob es die gemeinsame Wanderung in den Bergen, das Kochen eines aufwendigen Menüs oder das Streichen einer Wohnung ist – geteilte Aktivitäten schaffen einen gemeinsamen Erfahrungsschatz, der weit über Worte hinausgeht.

Gruppe von Freunden bei gemeinsamer Wanderung in den bayerischen Alpen bei Sonnenuntergang

Der Grund dafür liegt in unserer evolutionären Vergangenheit. Rund um ein Lagerfeuer wurde nicht nur geredet, sondern gearbeitet, gegessen und geschwiegen. Das gemeinsame Tun schafft einen nonverbalen Gleichklang. Man überwindet zusammen kleine Herausforderungen (der steile Anstieg), teilt Momente der Freude (die Aussicht vom Gipfel) und erlebt den anderen in einem authentischen Kontext. In solchen Situationen fallen die sozialen Masken oft von selbst. Man muss nicht krampfhaft nach Gesprächsthemen suchen; das Gespräch ergibt sich organisch aus der Situation oder ist manchmal gar nicht nötig. Geteiltes, komfortables Schweigen kann eine der intimsten Formen der Verbundenheit sein.

Für die bewusste Beziehungsarchitektur bedeutet das: Anstatt immer nur einen Kaffee trinken zu gehen, schlagen Sie eine Aktivität vor. Besuchen Sie einen Töpferkurs, gehen Sie paddeln oder engagieren Sie sich gemeinsam ehrenamtlich. Diese Erlebnisse werden zu den „Ankerpunkten“ Ihrer Beziehung – die Geschichten, an die Sie sich noch Jahre später erinnern und die das Fundament in Krisenzeiten stärken, wenn Worte allein nicht mehr ausreichen.

Das „Geben-statt-Nehmen“-Prinzip: Wie Sie zum unersetzlichen Knotenpunkt in Ihrem Netzwerk werden

Viele Menschen nähern sich dem Thema Netzwerken mit der Frage: „Was habe ich davon?“. Ein weitaus mächtigerer und erfüllenderer Ansatz ist es, diese Frage umzudrehen: „Was kann ich geben?“. Indem Sie sich darauf konzentrieren, ein Geber zu werden, verwandeln Sie sich vom passiven Konsumenten sozialer Kontakte zum aktiven, unersetzlichen Knotenpunkt Ihres eigenen Ökosystems. Menschen werden auf natürliche Weise von denen angezogen, die großzügig mit ihrer Zeit, ihrem Wissen oder ihrer Hilfe sind. Dieses Prinzip widerspricht nicht dem Gedanken, selbst Hilfe anzunehmen – im Gegenteil, es schafft erst die Grundlage dafür. Die Deutschen schätzen diesen Wert besonders: Laut einer Erhebung des IfD Allensbach halten 85 % der Deutschen gute Freunde für besonders wichtig – wichtiger als eine Partnerschaft oder beruflichen Erfolg.

Geben muss nicht immer groß und aufwendig sein. Es kann bedeuten, einen interessanten Artikel weiterzuleiten, von dem Sie wissen, dass er einen Freund interessiert. Es kann bedeuten, zwei Menschen aus Ihrem Netzwerk miteinander bekannt zu machen, weil Sie glauben, dass sie voneinander profitieren könnten. Es geht darum, eine Haltung der proaktiven Großzügigkeit zu kultivieren. Werden Sie zu der Person, die man anruft, wenn man einen Rat braucht, eine Empfehlung sucht oder einfach nur eine zweite Meinung hören möchte. Sie bauen sich so einen Ruf als wertvolle, verlässliche Ressource auf.

Eine hervorragende Möglichkeit, dieses Prinzip in die Tat umzusetzen, ist es, selbst zur Ressource für andere zu werden, die Anschluss suchen. Organisationen wie das Kompetenznetz Einsamkeit zeigen, wie das auf struktureller Ebene funktioniert. Sie bieten eine digitale „Angebotslandkarte“ an, auf der Menschen durch Eingabe ihrer Postleitzahl lokale Angebote finden – von Nachbarschaftstreffs bis zu Mehrgenerationenhäusern. Indem Sie sich über solche Angebote informieren und sie in Ihrem Umfeld bekannt machen, werden Sie selbst zum Geber und stärken nicht nur Ihr eigenes Netz, sondern auch die Gemeinschaft als Ganzes.

Das Wichtigste in Kürze

  • Ein soziales Sicherheitsnetz ist kein Zufall, sondern das Ergebnis bewusster „Beziehungsarchitektur“.
  • Ein vielfältiges „soziales Ökosystem“ mit unterschiedlichen Beziehungstypen ist widerstandsfähiger als die Konzentration auf einen „besten Freund“.
  • Aktive Pflege, die Bereitschaft, um Hilfe zu bitten, und eine Haltung des Gebens sind die drei Säulen eines krisenfesten Netzwerks.

Netzwerken ohne Smalltalk: Wie Sie echte Beziehungen aufbauen, die Ihre Karriere und Ihr Leben bereichern

Der Gedanke an Networking-Veranstaltungen löst bei vielen, insbesondere in Deutschland, Unbehagen aus. Oberflächlicher Smalltalk fühlt sich oft unauthentisch und anstrengend an. Das Problem ist besonders für junge Menschen relevant, die eigentlich nach Anschluss suchen. Der Sozialbericht 2024 der Bundeszentrale für politische Bildung dokumentiert, dass sich 24 % der 18- bis 29-Jährigen oft einsam fühlen – der höchste Wert aller Altersgruppen. Die gute Nachricht ist: Echte, tiefe Verbindungen entstehen selten durch erzwungenen Smalltalk. Es gibt effektivere Wege, um mit Menschen ins Gespräch zu kommen und eine Basis für eine echte Beziehung zu legen, sei es im beruflichen oder privaten Kontext.

Der Schlüssel liegt darin, den Fokus vom Persönlichen auf ein „gemeinsames Drittes“ zu verlagern. Anstatt Fragen zu stellen, die sich wie ein Verhör anfühlen („Wo wohnen Sie?“, „Was machen Sie beruflich?“), richtet man die Aufmerksamkeit auf ein externes Objekt oder Thema. Das kann das Kunstwerk an der Wand, der Vortrag, den man gerade gehört hat, oder ein gemeinsames Problem sein, das es zu lösen gilt. Dieser Ansatz senkt den Druck und schafft einen neutralen Boden, auf dem sich ein Gespräch natürlich entwickeln kann. Man lernt den anderen durch seine Perspektive auf die Welt kennen, nicht durch abgefragte Fakten.

Eine weitere wirkungsvolle Technik ist es, von „Was“-Fragen zu „Warum“- oder „Wie“-Fragen überzugehen. Anstatt „Was machen Sie beruflich?“, fragen Sie: „Was begeistert Sie am meisten an Ihrer aktuellen Arbeit?“ oder „Wie sind Sie auf die Idee für dieses Projekt gekommen?“. Diese Fragen öffnen den Raum für Geschichten, Leidenschaften und persönliche Motivationen. Sie signalisieren echtes Interesse am Gegenüber und führen fast zwangsläufig zu einem tieferen, bedeutungsvolleren Austausch. So wird aus gefürchtetem „Netzwerken“ eine authentische Begegnung, die den Grundstein für eine krisenfeste Beziehung legen kann.

Mit den richtigen Techniken können Sie authentische Verbindungen knüpfen. Der Schlüssel liegt darin, Gespräche zu führen, die über oberflächlichen Smalltalk hinausgehen.

Der Aufbau eines solchen Netzwerks ist eine der lohnendsten Investitionen Ihres Lebens. Beginnen Sie noch heute damit, Ihre Beziehungsarchitektur bewusst zu gestalten und die Fundamente für ein Leben zu legen, in dem Sie in keiner Krise allein sind.

Häufige Fragen zum Aufbau eines sozialen Netzes

Wie beginne ich ein tieferes Gespräch statt oberflächlichen Smalltalk?

Fragen Sie nach aktuellen Projekten oder Ideen statt nach dem Beruf: „An welcher Idee arbeiten Sie gerade, die Sie persönlich begeistert?“. Das lenkt das Gespräch auf Leidenschaft und Motivation.

Wie überwinde ich die deutsche Abneigung gegen Smalltalk?

Nutzen Sie das Prinzip des „gemeinsamen Dritten“. Richten Sie das Gespräch auf ein externes Objekt oder Thema (z. B. ein Kunstwerk, einen Vortrag, ein Marktproblem) statt auf direkte persönliche Fragen. Das senkt den Druck und wirkt weniger aufdringlich.

Welche Gesprächsöffner funktionieren in typisch deutschen Situationen?

In der Kaffeeküche oder beim Bäcker können Sie einen lokalen Bezug herstellen: „Ich überlege, demnächst [lokales Ereignis/Restaurant] zu besuchen, waren Sie schon mal da?“. Das schafft eine gemeinsame Basis, ohne indiskret zu sein.

Geschrieben von Johanna Ziegler, Johanna Ziegler ist Diplom-Psychologin und zertifizierte Resilienz-Trainerin mit einem Schwerpunkt auf achtsamkeitsbasierten Verfahren. In ihrer Praxis begleitet sie seit über 20 Jahren Menschen durch private und berufliche Veränderungsprozesse.